Zores: Musik abseits aller Hörgewohnheiten   

Jeden 1. Dienstag im Monat 21 - 24 Uhr bei Radio Z 95,8 MHz 

 

 

Hier den Livesteam einschalten

 

 

Bleib Modern (same)                                                                                 

Young And Cold Rec., 2024 - 11 Songs, 41 Min.

Der Bandname Bleib Modern wirft schon ein paar Fragen auf. Zumal die Musiker nicht aus der Grossstadt kommen, wo dieses Beharren womöglich leichter fällt. Inzwischen arbeiten sie wohl alle in Berlin, wo der Puls der Modernität in seinen Facetten leichter fühlbar schlägt. Und die neondurchstrahlte Helligkeit dort (inzwischen sicher durch verträglichere Leuchtmittel ersetzt) wirft Schlaglichter auf das kühle Dunkel, in dem diese Musik vor allem spielt.

Was ist denn schon modern? Diese Musik ist es einerseits nicht - denn ihre Referenzen sind die 80er Jahre - andererseits schon, denn dieser Klang erscheint ziemlich unverwüstlich, wird ständig aufgegriffen. Wobei die Kunst darin besteht, sich einerseits an den düsteren Originalen zu orientieren, dem Ganzen aber am besten eine eigene Note zuzufügen. Bands wie Lebanon Hanover haben sich so einen eigenen Ruf erarbeitet und davon scheinen die Fünf gar nicht mal so weit entfernt zu sein. Davon konnten wir uns in der Region ja auch schon live überzeugen. Was Cold Wave und Postpunk betrifft, sind Bleib Modern jedenfalls auf der Höhe der Zeit mit ihrem unterkühlten, stählern vibrierenden Sound.

Das selbstbetitelte Bleib Modern ist das 5. Album der Band, die seit mehr als zehn Jahren aktiv ist. Und die eingangs gestellt Frage ist weiter offen. In einer Zeit, in die Fundamente unserer Moderne gerade umgeholzt werden, erinnert dieses Beharren ein bisschen an ein paar Verhaltensregeln aus der Zeit genialer Dilettanten, an „Zurück zum Beton“ (sicher fühlen sich da Bleib Modern ganz wohl) oder FSKs Modernitätswille, der freilich so angenehm ungelenk einherkam. Ungelenk ist hier nichts, hier wird die Dunkelheit elegant poliert, sie schwebt geschmeidig und unnahbar um die Songs. Hier heisst das Parfüm, mit dem die Songs imprägniert wurden,

„Kälte“, vielleicht versehen mit einer Note Entfremdung. So gehts auf der Nachtautobahn voran, ab und zu hier erstmals auf deutsch. Temperament, aber auf Eis. Eingerahmt von etwas Lärm.  In so überhitzten Zeiten immer wieder sehr angenehm, aber manchmal tut ein wenig Wärmechaos trotzdem gut.   

Anspieltipps: Everywhere I Go, Fremder Junge, Feeling Great, Rainy Day       

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 4.3.2025


Eat-Girls, Area Silenzio

bureau b, 2024 - 10 Songs, 37 Min.

Es mag etwas spukig sein, einen Begriff wie „ohrwurming vox“ in einer englischsprachigen Besprechung zu finden, aber dann wird einem klar, dass es ja um die Musik der  Eat-Girls geht und das ist dann auf alle Fälle einleuchtend, sehr einleuchtend sogar. Es ist da ja auf Area Silenzio alles voller tönender Ohrwürmer. Und straffer Rhythmen. Und catchy Verspieltheit, unter anderem. Stille und Schweigen waren einmal, in jenen heute beinah fantastisch anmutenden Momenten weltweiter Isolation und dem galt es ja auch immer etwas entgegenzusetzen. Warum nicht Musik? 

Elisa Artero Flores und Amélie Guillon sassen da also wohl angefasst in ihren kleinen Appartements und tüftelten mit kleinem Equipment an Musikwerk, das bald enge Grenzen sprengen sollte. Grenzen des Retrofuturismus, des No Wave, von Kraut-Anleihen. Verstärkt um Maxence Mesnier präsentieren sie hier einen ebenso präzisen wie windschiefen Blick auf unsere nach wie vor oft erstaunliche und unvorhersehbar unvorhersehbare Welt.

Area Silencio spielt allerlei musikalische Welten an, aber aus einer leicht verschobenen Perspektive. Es ist ebenso eingängig (fast) wie seltsam (ektoplasmatisch). Es brilliert in der Kunst der Anverwandlung, die dann leichthin als schillerndes Original dasteht und klingt. Eat-Girls versammelt einen Parcours aus Songs, die delikat, aber nicht schüchtern aus Vorhandenem gewebt wurden und von einem präzisen und ausgewähltem Geschmack zusammengehalten werden. Und nebenbei ziemlich abgehen.

Die Katakomben einer grossen dunklen Vergangenheit wurden geöffnet, aber Eat-Girls haben den möglichen Muff umstandslos vertrieben. Lagernde kleinere und grössere Kunstwerke haben sie beherzt auseinandergenommen, aufpoliert und nach ihren präzisen Launen zusammengesetzt. In dem Hallraum der Vergangenheit erklingen sie jetzt frisch und mit lebensfroher Verve. Höchst lebendige Geister! Lichtgeschwindigkeits- und nebenbei! Vormittagsspuk! Ohrwurming Vox!!

Anspieltipps: On A Crooked Swing, Canine, A kin, earthcore      , Para los Pies Cansados

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 4.3.2025


Brezel Göring und Psychoanalyse, Friedhof der Moral

Stereo Total Records, 2024 - 13 Songs, 35 Min.

Françoise Cactus ist durch niemanden zu ersetzen, klar. Stereo Total gibts nicht mehr. Aber Brezel Göring ist noch da und hat keine Lust, keinen Grund, aufzuhören. Manchen hilft da Psychoanalyse. So womöglich auch hier. In Gestalt von Chang Wang, Hanni Kruscha und Lilith Stangenberg zum Beispiel, die mit Brezel Göring zum Friedhof unterwegs sind. Da liegt nicht der Hase im Pfeffer, sondern die Moral begraben. Und lässt sichs gut gehen. Denn sie muss nicht mit auf die rasende, schlingernde Fahrt, die die Kapelle hier beginnt.

Brezel Göring ist ja einer der erstaunlichsten und vielseitigsten Musiker unseres Landes, auch wenn er oft genug unter dem Radar einer saumseligen Aufmerksamkeitsspanne einhersaust. Auf Friedhof der Moral, dem aktuellen Album, entwischt er womöglich auch noch aufnahmefähigen HörerInnen. Zu bunt ist das Themenspektrum, zu irrwitzig die musikalischen Haken, die Brezel Göring schlägt, so krass der Graben zwischen provokativer Lebenslust und potentieller Selbstzerstörung. Aber halt, tönt da nicht eine Kunstfigur aus dem Morast von Lebensverstrickungen? Ja, das sicher auch. Aber nicht nur, vermute ich. Schliesslich fährt da die Musik funkensprühend leichtsinnige Loopings auf dünnem Gleis. Und mittenmang trennen nur wenige Takte die Apokalypse vom Feuerlöscher. In leichteren Fällen ist der ja auch ausreichend.

Brezel Görings Stimme ist definitiv ungeschminkt. Manchmal angeödet. Licht ist aus. Aber dann will er doch nach Hause, und nach Hause wollen wir doch irgendwie alle. Muss ja nicht entlang dieser Oranienstrasse sein. Die hat auch andere Namen... Dazu klappert eine windschiefe Gitarre, und der Trost hat Mühe, hinterherzukommen. Aber irgendwie wird er es schon schaffen, das walte Brezel. Oder wir kommen uns alle ein wenig entgegen.

Moral, das sind Lebensplanken. Manchmal hilfreich, oft einschnürend. Scheuklappen des Denkens womöglich. Anders als Kuscheltiere kommen sie vom Friedhof nicht zurück. Vermut ich mal. Brezel Göring hat ihn angelegt, diesen Friedhof und die Musik, die Worte dazu. Die sind nicht durchweg angstbefreit und frei von Anstrengung ist das Leben danach auch nicht. Manchmal schreit es nach Betäubung, denn ein Schmerz bleibt ein Schmerz, mit und ohne Moral. Dann braucht es was. Und manchmal hilft auch die Musik. Mir zumindest ziemlich oft, auch diese. 

Anspieltipps: Such Dir einen Arzt, Je Ne Pardonne Jamais, Tschernobyl, Feuerlöscher, Tilidin,          Friedhof der Moral                      

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 4.3.2025


Corrupted, Felicific Algorithm/Mushikeras

Cold Spring, 2024 - 3 tracks, 48 Min.

Kleine Quizfrage: Eine japanische Band aus dem härteren Metal-Bereich, deren prägende erste Veröffentlichungen spanische Titel tragen?

...

Genau: Corrupted. Eine doom/sludge Legende, 1994 in Osaka gegründet. Rasch erarbeiteten sich die Musiker einen klangvollen Ruf. Und unterstrichen ihn mit einigermassen speziellen Ambient-Passagen in ihrer zum Teil sehr ausufernden Musik, in denen auch mal eine Harfe zum Einsatz kam. Bis zum Album El Mundo Frio von 2005 veröffentlichten Corrupted recht regelmässig, danach wurde es ruhiger. Corrupted touren bevorzugt in Japan, wenn überhaupt. Sie legen auch keinen besonderen Wert auf Dinge wie Interviews oder sonstige Publicity, sondern wollen ihre Musik für sich sprechen lassen. Und da haben sie, trotz aller Pausen und nach einigen Umbesetzungen, anscheinend weiter Lust. So erschien 2018 mit Felicific Algorithim ein auf Feldaufnahmen basierendes Stück dark ambient (das in beliebiger Geschwindigkeit abgespielt werden durfte). Dieses wurde nun wiederveröffentlicht und mit einem noch neueren Stück rabiat zusammen gewürfelter Musik namens Mushikeras gekoppelt. Und das werde ich euch im Folgenden  präsentieren. Zumal es nur sehr am Rand so anfängt, wie unsereins es von einer Doom-Band erwarten würde. Und die Erwartung immer wieder unterläuft. Kaz Mike (howling guitar and bass), Rie Lambdoll (vocal and bass), Mark Y. (guitar and bass) und Chew (drum and high carbon steel) haben die Musik 2023 eingespielt und damit womöglich ein neues Kapitel im beeindruckenden Werk der misteriösen japanischen Band aufgeschlagen. Denn festnageln lässt sich Mushikeras nicht. Was als elegischer und ausdrucksstarker Gesang beginnt badet dann doch bald in drone und feedback. Um allerdings darin nicht unterzugehen, sondern daraus mit neuer Kraft und Anmut emporzusteigen. Bevor die Rituale beginnen, sich in unheilige Raserei steigern. Aus Inferno erhebt dann wiederum Engelsgesang, klare Harmonien leuchten stoisch, bevor alles ein wuchtig-erhabenes Finale ansteuert. So etwa, knapp eine halbe Stunde lang. Ein fabelhafter Trip, der mich (und andere) nach einem ersten fremdeln hinreisst. Und vielleicht ein Vorgeschmack auf „things to come“?

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 4.3.2025


Nurse With Wound With Bladderflask, Backside

United Dairies, 2024 - 3 tracks, 57 Min.

DIY begann, wie zuvor schon oft, auch nochmal in den späten 1970er Jahren. Als die Zukunft ebenso unerstrebenswert wie unverbraucht erschien. Nicht nur die Queen wurde rasiert, auch alles, was nach steifer Oberlippe und irgend Geschmack aussah, roch oder weste. In diesem Umfeld gediehen 100 bis 1000 Blumen des Banalen ebenso wie des Genialischen, und wo sich eins einsortieren sollte, mochte jetzt und fürderhin nicht zu unterscheiden sein. Alles, was vonnöten war, waren Wille und die Abwesenheit von Prokrastination. Denn der Kapitalismus hatte die Pandorabox aufgetan und heraus purzelten billige Synthesizer, allerlei Equipment und diverse Möglichkeiten, eigene Geräuschvorstellungen in der heimischen Waschküche aufzuzeichnen und in 50 Exemplaren einer händisch zusammengebauten Musikkassette einer wie auch immer aufmerksamsbereiten Minimalöffentlichkeit um die Ohren zu hauen. Es hat nicht aufgehört seitdem. Mittendrin Steven Stapleton und Richard Rupenus, die diesem Klangacker fast ohne Unterlass reiche, wenn auch mitunter wenig verdauliche Früchte abringen.

Stapleton ist mit wechselnden FreundInnen Nurse with wound, ein im Geist des Krautrock halluzinierendes Industrial-Outfit (womit ich diesen Fachbegriff auch einmal angewendet habe), Richard Rupenus, oft mit seinem Bruder Philip zugange, erschuf die im Noise Bereich ungemein einflussreichen The New Blockaders, und manch anderes, darunter Bladder Flask (und ihr 1981er Album mit dem schaurigschönen Titel One Day I Was So Sad That The Corners Of My Mouth Met & Everybody Thought I Was Whistling). Man kennt sich also, arbeitete ohnedies immer mal wieder zusammen und vor einiger Zeit fand Richard Rupenus unverbrauchtes Bladderflask Material. Er traute es Steven Stapleton an, der mit dem brother in crime Andrew Liles daraus 3 zwischendrin irritierende, manchmal gar verstörende, stets jedoch betörende Klanglandschaften verfertigte. Wir könnten da Vermutungen anstellen, was von wem stammt, aber es ist eigentlich unerheblich. Denn es wirkt wie aus einem Guss mit charmanten Sprüngen, schimmerndem Klingeling und geliert mit schäbigem Schund. So solls auch sein.

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 4.3.2025


u n d

Ezra Collective, Dance, No One´s Watching - Partisan Rec., 2024

Tanz, als ob dir niemand zuguckt! Diesen Vorschlag hatte das Ezra Collective wohl im Hinterkopf, als es sein gutgelauntes drittes Album einspielte. Sie spielen für uns, munter inspiriert von Tanzbarem der halben Welt. Afrobeat, Samba, Funk und manch anderes findet sich in einem präzise orchestrierten Reigung und lädt ein, die Beine in Bewegung zu setzen. Unbeobachtet, aber leidenschaftlich.

Kim Gordon, The Collective - Matador, 2024

Im Mainstream hat sich Kim Gordon nie wohlgefühlt. Und mit diesem Album ein elektronisches, ziemlich finsteres Alterwerk vorgelegt. Justin Raisen legt den dub- und traplastigen Klanggrund, Kim Gordon räsoniert nicht ohne Humor über eine aus den Fugen geratene Welt. Rabiat schneiden sie eine Schneise durch die Gegenwart, ohne Ohrwürmer, aber mit beeindruckender Wucht.