Zores: Musik abseits aller Hörgewohnheiten Jeden 1. Dienstag im Monat 21 - 24 Uhr bei Radio Z 95,8 MHz |
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Lady
Blackbird,
Slang Spirituals BMG,
2024 - 11 Songs, 52 Min. Vor
zwei Jahren kam das Album Black Acid
Soul von Lady Blackbird heraus und animierte mit seiner schnörkellosen
Art und natürlich der Stimme von Marley Munroe zu Jubelstürmen.
Dabei ergab sich der reduzierte Sound eher beiläufig und Munroe, die
ihren KünstlerInnennamen natürlich nicht grundlos von Nina Simone
entliehen hat, kann auch ganz anders. Wie sie auf Slang Spirituals,
dem neuen Album, beherzt vorführt. An ihrer Seite erneut Produzent
Chris Seefried, der diesmal ordentlich in den Topf mit Psychedelica
greifen darf. Soul
und Gospel sind wichtig für Lady Blackbird, die mit christlicher
Musik aufgewachsen ist, sich davon aber später abwandte als etwas
Aufgezwungenem. Erste Anläufe ins Musikgeschäft versandeten, auch
wenn sie an einem Song für Anastacia beteiligt war. Ausserdem gab es
da das Ringen um die Identität als queere Person, das nicht zuletzt
auf diesem Album ausgetragen und vorerst abgeschlossen wird. Die
Selbstermächtigung von jemand, der sich durchs Herkommen als Sünderin
begreifen sollte und das jetzt, nicht zuletzt durch die Kraft ihrer
Stimme und ihrer Musikalität, abgestreift hat. Da darf es dann auch
mal etwas opulenter zugehen als zuvor, denke ich. Auch wenn Kritik
zumindest am Musikalischen nicht ausbleibt. Im
Albumtitel Slang Spirituals treffen ja so etwas wie zwei Ebenen
aufeinander und das ist ganz im Sinn von Lady Blackbird. Ihre
Lebensreise bildet das Grundgerüst des Albums, wo neben opulenten
„Phil Spector trifft Sun Ra“- Songs auch mal eine reduzierte
Folk-Ballade stehen kann. Songtitel wie Like A Woman, Reborn und No
One Can Love Me (Like You Do) sind da ziemlich selbsterklärend und
Lady Blackbird stürzt sich mit der Verve rein, über die sie ja auch
verfügt. Mit
der Stimmgewalt einer Rockröhre überrascht Lady Blackbird auf ihrem
zweiten Album und das kommt nicht von Ungefähr. Die Spielarten von
Black Music werden dabei immer wieder mit Psychedelica unterfüttert,
was manchmal etwas zäh enden kann. Da scheint sich die Musik manchmal
ein bisschen zu verlieren. Auch in unverstelltem Wohlklang. Bis sich
wieder ein Sog einstellt, Gospelchöre jubilieren. Von daher wirkt
alles der grossen Stimme letztlich angemessen, die sich jederzeit den
Raum nimmt, den sie braucht und verdient. Anspieltipps:
Let Not (Your Heart Be Troubled), Like A Woman, When The Game Is
Played On You, The City, No One Can Love Me (Like You Do)
Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 3.12.2024 Les
Reines Prochaines,
Scissor*hood via
bandcamp, 2024 - 16 Songs, 61 Min. Es
gibt, juhu! etwas Neues von den unentwegten schweizer Königinnen.
Scissor*hood - mit Sternchen inmitten - versammelt das aktuelle
Programm mit einigem Unveröffentlichten. Es klingt alles wie gehabt
und das ist hier mal eine gute Nachricht. Denn der musikalische Kosmos
der Reines Prochaines ist notorisch unordentlich und versammelt Bestes
der demi-monde mit feinstem Agitprop wie gehabt. Flink schlängeln
sich die Melodien in die Gehörgänge, um sich dort alsbald
festzusetzen. Gefolgt von Verszeilen, die das unentwegt Nötige zu den
Verstörungen der Welt beinhalten. Das Schöne daran ist, dass das
Laune macht, mit einem gewissen Tatendrang ansteckt und gar nicht so
tief herabzieht, wie es der genaue Wortlaut erwarten lassen würde. Fränzi
Madörin, Muda Mathis und Sus Zwick mögen inzwischen an Jahren ein
bisschen alt sein, aber ihre Kunst ist es nicht. Ja, sie mag in Zeiten
von spotify-playlisten aus der Zeit gefallen scheinen, aber ist
quicklebendig. Sie beschäftigt sich nämlich mit uneingelösten
Macht- und Geschlechterverhältnissen und bringt diese immer wieder
auf den Punkt. Da brauchts keine punchline, denn die besten Tiefschläge
verpasst einem das Leben selbst. Dieser Eindruck wird zumindest gerne
erweckt, aber es ist schon der durchregierende Kapitalismus, der sich
ein ansonsten schön funkelndes Kleidchen umgeworfen hat. Damit die
genagelten Stiefel nicht so auffallen. Dem ist natürlich nicht mit
schnöder Poesie beizukommen, aber ein bisschen Aufbau von Kampfeslust
ist auch nicht zu verachten. Das
Wort Ruminieren, das habe ich an dieser Stelle gelernt, steht fürs Grübeln,
fürs Nachdenken, aber auch Nichthandeln. Eine allzuvertraute Zwickmühle,
der sich die Reines Prochaines in ihrem neuen Album Scissor*hood
beherzt stellen. Wir fragen uns, heisst es, was hat Alltag mit Natur,
Weltwirtschaft mit Körper, Gerüche mit dem limbischen System zu tun?
Und was Karpfen mit Katastrophen, Gewohnheiten mit
Marketingbefragungen, blaue Tinte mit dem Unsichtbaren und Fleisch und
Fliegen mit unserem infernalen Lebensstil? Genug Stoff zum Nachdenken
einerseits, andererseits aber so munter und tanzbar verpackt, dass über
Bewegung des Körpers ja auch der Geist in die Gänge kommt. Und sich
dann aufmacht zu spannenden, zu befreienden Aktionen, zu belebendem öffentlichen
Unsinn und königinnenhaft roter Solidarität. Anspieltipps:
Wem gehört die Welt, Scissor*hood, Karpfen aus China, Wir
sind drin wir sind dran, Plan B
Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 3.12.2024 Space
Schädel,
Opus Schädel 1 mono-Ton
Records, 2024 - 7 tracks, 30 Min. Das
Opus Schädel Nr. 1 von Space Schädel ist eigentlich kein Erstling.
Aus gewissen Gründen musste sich die Band formerly known als Space
Shuttle umbenennen und heisst jetzt Space Schädel. Weiter zu hören
gibt es Kosmisches und andere Weltraumklänge, jazzy freakouts und ähnliche
Schädelerweiterungsmusik. Am
Anfang des Albums steht ein munteres „goodbye“ - wohl vom alten
Namen, aber nicht zur befreienden Musik des Leipziger Quartetts aus Maximilian
Breu - Drums, Vocals, Olga Reznichenko - Keyboard, David Birschel -
Guitar und Stephan Deller - Bass.
Das fetzt zwischen schnoddriger Ruppigkeit und zügelloser Schönheit.
Und wurde erneut von Greg Saunier gemastert. Der
Weltraum ist schon ein seltsamer Ort. Er beflügelt zu Fantasien und
Visionen, zu Trips und Träumen. Doch in der Wirklichkeit benötigt
die Reise dorthin einen ziemlich festen, ziemlich massiv
ausgestatteten Kokon. Aber es gibt ja eine Alternativroute, die
allerlei kosmische Kuriere schon gewählt haben. Auf schlichten
Luftschwingungen, solo oder als Kombo, lässt sich das kosmische
Erlebnis noch auf der Erde elektrogetrieben nachspinnen, wobei eine
sichere Landung auch nicht garantiert ist. Dabei ist allerdings statt
mit Sauerstoffmangel eher mit dem an Fantasie zu rechnen. Aber davon
sind Space Schädel zum Glück Lichtjahre von entfernt. Anspieltipps:
Goodbye,
Beautiful Riff, Final Stay
Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 3.12.2024 Die
Mausis,
In einem Blauen Mond Broken
Silence, 2024 - 12 Lieder, 32 Min. Im
Gebüsch sang unlängst Andreas Dorau, in einem blauen Mond singen die
Mausis. Bei bepelzten Kleintieren ist der Niedlichkeitsfaktor natürlich
höher als bei einem älteren weissen Mann ungeachtet seiner
Warmherzigkeit. Denoch wärmt mich der Charme Andreas Doraus mehr als
der durchaus vorhandene des bemerkenswerten Duos aus Stella Sommer
(Ex-Die Heiterkeit) und Max Gruber (aka Drangsal). Warum? Das werde
ich nicht erklären, und es hat auch nichts mit der trotz aller
Melancholie recht munteren Art von deren Songs zu tun. Oder doch? Es
hat unzweifelhaft etwas Gewaltsames, die Alben der Mausis und Andreas
Doraus zu vergleichen. Aber ich finds als Versuchsanordnung doch ganz
interessant. Die Fülle der Texte scheint mir auf etwa gleicher Höhe
zu liegen, wobei die Mausis tendenziell etwas Materieller, Bodenständiger
vorgehen. Melodiös ist auch alles recht passabel geraten, wobei nicht
einmal die Wandergitarre den Mausis Punktabzüge garantiert. Es ist
halt nur alles etwas unverschrobener und von geradlinigerer Komik als
die subtile Lebensweisheit des reifen Chansonniers Dorau. Der
blaue Mond scheint übers Lagerfeuer und dieses Lagerfeuer ist meines
Erachtens ein klein wenig das Problem der Lieder der Mausis. Das ist
natürlich ein selbstgemachtes Problem von mir, der vorläufig einfach
im Gebüsch sitzen sollte und den Mund halten. Aber da ist halt doch
zuviel Kinderlied-Poesie und zuwenig herzwärmende Albernheit, die den
Mausis genauso stehen würden wie Plüschohren und goldschimmernde Käseleibe
als Korpus klingender Freundschaftsklampfen. Das Thema Acht Eimer Hühnerherzen
lass ich an dieser Stelle mal aussen vor... Anspieltipps:
In einem blauen Mond, Ausgerechnet ich, Ich leg mein Geld in Käse an,
Der Supergouda, Am Ufer der Zeit Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 3.12.2024 BaBa
ZuLa,
İstanbul Sokakları Glitterbeat
Rec., 2024 - 8 Songs, 41 Min. Die
Türkei hat, wie ich euch gelegentlich schon gezeigt habe, auch eine
reiche Tradition an psychedelischer Musik. Eine der ältesten Gruppen,
die noch aktiv ist, heisst Baba ZuLa und hat mit İstanbul
Sokakları ihr munteres 10. Album vorgelegt. Oriental Dub lautet
übrigens die Selbstbezeichnung der Band für ihre Musik, aber das ist
nicht so eng zu sehen. BaBa
ZuLa ist ein Projekt von Murat Ertel, der aus einer Künstlerfamilie
kommt und schon als Kind kleine Theaterstücke aufführt. Er wendet
sich dann der Musik zu und für ein Filmprojekt entsteht 1996 die Band
Baba Zula, die bis heute aktiv ist und deren aktuelles Album sich den
Strassen des grossen Schmelztigels Istanbul widmet. Die
Musik von Baba Zula ist einerseits stark vom anatolischen
Psychedelic-Rock der 60er und 70er Jahre inspiriert, zum Beispiel von
Musikern wie Erkin Koray oder Barış Manço. Türkische
Volksmusik ist die andere Säule, auf die sich die Songs stützen. Murat
Ertel spürt eine starke Verbindung zu traditionellen Liedern und den
alten Meistern seines Instruments – der Saz.
Aber das sind nicht die einzigen Komponenten dieser Musik. Spätestens
mit dem Film „Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul“ von
Fatih Akin aus dem Jahr 2005 sind Baba Zula auch in Deutschland
bekannt geworden. Im Film jammen sie auf einem Segelboot zusammen mit
Einstürzende Neubauten-Bassist Alexander Hacke. Aber auch sonst
arbeiten Baba Zula mit Musikern aus allen Teilen der Welt zusammen.
Regelmäßiger Gast ist zum Beispiel die kanadische Sängerin Brenna
Mac Crimmon, außerdem ist die Band unter anderem mit dem
einflussreichen Musikproduzenten Mad Professor und dem 2017
verstorbenen Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit aufgetreten. Baba
ZuLa lassen sich also von westlicher Musik inspirieren, spielen sie
aber auf traditionellen Instrumenten wie der saz oder der darbouka,
was den oft frei improvisierten Songs ihr charakteristisches Gepräge
und eine ganz eigene Stimmung gibt. Und auch wenn Baba ZuLa keine
politische Band sind, so sind sie mit ihren Songtexten und ihrer
musikalischen Freigeisterei in ihrer türkischen Heimat öfters
angeeckt. Dabei schützt sie, dass sie doch in ihrer schlecht
einordbaren Buntheit ein Geheimtip geblieben sind. Aber bei uns ist
letzteres, hoffe ich, nicht nötig. Wir können diese so reichhaltige
und farbige Musik in ihrer Fülle einfach geniessen und an die bunte
Vielgestalt der Welt denken. Anspieltipps:
İstanbul Express Divan Taksim, Arsız
Saksağan, Yok Haddi Yok Hesabı,
Pisi Pisi Halayı Hans
Plesch für ZORES auf Radio
Z, 3.12.2024 und: Nilüfer
Yanya,
My Method Actor - Ninja Tune, 2024 Beim
Method Acting wird ja tief in die zu verkörpernde Rolle geschlüpft -
und welche Person da gerade auf einer Bühne steht und uns Lieder
singt, ist ja auch nicht immer klar. Auf Nilüfer Yanyas 3. Album wird
diese Frage aufgeworfen, ohne beantwortet zu werden. Mit Wil/ma Archer
an der Seite entfaltet Yanya ein luftiges Panorama, wo Souliges immer
mal wieder auf die rüderen Momente von shoegaze trifft, klasse
Verwandlungskunst also. Fontaines
D.C.,
Romance - XL Recordings, 2024 Die
irische Band verbindet ja tendenziell melancholischen Postpunk mit so
infernalischen Dingen wie Grunge und Hip Hop und hat sich da einen Ruf
erarbeitet, den das sehr speziell romantische aktuelle Album locker
unterstreicht. Wobei, locker ist das kaum, eher energetisch angespannt
und ein im besten Sinn kopfverdrehendes Gefühlskarussel. Romantik
halt, wie si´e nicht so oft im Poesiealbum steht, dafür auf dem
Rummelplatz, möglicherweise. |