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Lady Blackbird, Slang Spirituals

BMG, 2024 - 11 Songs, 52 Min.

Vor zwei Jahren kam das Album Black  Acid Soul von Lady Blackbird heraus und animierte mit seiner schnörkellosen Art und natürlich der Stimme von Marley Munroe zu Jubelstürmen. Dabei ergab sich der reduzierte Sound eher beiläufig und Munroe, die ihren KünstlerInnennamen natürlich nicht grundlos von Nina Simone entliehen hat, kann auch ganz anders. Wie sie auf Slang Spirituals, dem neuen Album, beherzt vorführt. An ihrer Seite erneut Produzent Chris Seefried, der diesmal ordentlich in den Topf mit Psychedelica greifen darf.

Soul und Gospel sind wichtig für Lady Blackbird, die mit christlicher Musik aufgewachsen ist, sich davon aber später abwandte als etwas Aufgezwungenem. Erste Anläufe ins Musikgeschäft versandeten, auch wenn sie an einem Song für Anastacia beteiligt war. Ausserdem gab es da das Ringen um die Identität als queere Person, das nicht zuletzt auf diesem Album ausgetragen und vorerst abgeschlossen wird. Die Selbstermächtigung von jemand, der sich durchs Herkommen als Sünderin begreifen sollte und das jetzt, nicht zuletzt durch die Kraft ihrer Stimme und ihrer Musikalität, abgestreift hat. Da darf es dann auch mal etwas opulenter zugehen als zuvor, denke ich. Auch wenn Kritik zumindest am Musikalischen nicht ausbleibt.

Im Albumtitel Slang Spirituals treffen ja so etwas wie zwei Ebenen aufeinander und das ist ganz im Sinn von Lady Blackbird. Ihre Lebensreise bildet das Grundgerüst des Albums, wo neben opulenten „Phil Spector trifft Sun Ra“- Songs auch mal eine reduzierte Folk-Ballade stehen kann. Songtitel wie Like A Woman, Reborn und No One Can Love Me (Like You Do) sind da ziemlich selbsterklärend und Lady Blackbird stürzt sich mit der Verve rein, über die sie ja auch verfügt.

Mit der Stimmgewalt einer Rockröhre überrascht Lady Blackbird auf ihrem zweiten Album und das kommt nicht von Ungefähr. Die Spielarten von Black Music werden dabei immer wieder mit Psychedelica unterfüttert, was manchmal etwas zäh enden kann. Da scheint sich die Musik manchmal ein bisschen zu verlieren. Auch in unverstelltem Wohlklang. Bis sich wieder ein Sog einstellt, Gospelchöre jubilieren. Von daher wirkt alles der grossen Stimme letztlich angemessen, die sich jederzeit den Raum nimmt, den sie braucht und verdient.

Anspieltipps: Let Not (Your Heart Be Troubled), Like A Woman, When The Game Is Played On You, The City, No One Can Love Me (Like You Do)        

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 3.12.2024


Les Reines Prochaines, Scissor*hood

via bandcamp, 2024 - 16 Songs, 61 Min.

Es gibt, juhu! etwas Neues von den unentwegten schweizer Königinnen. Scissor*hood - mit Sternchen inmitten - versammelt das aktuelle Programm mit einigem Unveröffentlichten. Es klingt alles wie gehabt und das ist hier mal eine gute Nachricht. Denn der musikalische Kosmos der Reines Prochaines ist notorisch unordentlich und versammelt Bestes der demi-monde mit feinstem Agitprop wie gehabt. Flink schlängeln sich die Melodien in die Gehörgänge, um sich dort alsbald festzusetzen. Gefolgt von Verszeilen, die das unentwegt Nötige zu den Verstörungen der Welt beinhalten. Das Schöne daran ist, dass das Laune macht, mit einem gewissen Tatendrang ansteckt und gar nicht so tief herabzieht, wie es der genaue Wortlaut erwarten lassen würde.

Fränzi Madörin, Muda Mathis und Sus Zwick mögen inzwischen an Jahren ein bisschen alt sein, aber ihre Kunst ist es nicht. Ja, sie mag in Zeiten von spotify-playlisten aus der Zeit gefallen scheinen, aber ist quicklebendig. Sie beschäftigt sich nämlich mit uneingelösten Macht- und Geschlechterverhältnissen und bringt diese immer wieder auf den Punkt. Da brauchts keine punchline, denn die besten Tiefschläge verpasst einem das Leben selbst. Dieser Eindruck wird zumindest gerne erweckt, aber es ist schon der durchregierende Kapitalismus, der sich ein ansonsten schön funkelndes Kleidchen umgeworfen hat. Damit die genagelten Stiefel nicht so auffallen. Dem ist natürlich nicht mit schnöder Poesie beizukommen, aber ein bisschen Aufbau von Kampfeslust ist auch nicht zu verachten.

Das Wort Ruminieren, das habe ich an dieser Stelle gelernt, steht fürs Grübeln, fürs Nachdenken, aber auch Nichthandeln. Eine allzuvertraute Zwickmühle, der sich die Reines Prochaines in ihrem neuen Album Scissor*hood beherzt stellen. Wir fragen uns, heisst es, was hat Alltag mit Natur, Weltwirtschaft mit Körper, Gerüche mit dem limbischen System zu tun? Und was Karpfen mit Katastrophen, Gewohnheiten mit Marketingbefragungen, blaue Tinte mit dem Unsichtbaren und Fleisch und Fliegen mit unserem infernalen Lebensstil? Genug Stoff zum Nachdenken einerseits, andererseits aber so munter und tanzbar verpackt, dass über Bewegung des Körpers ja auch der Geist in die Gänge kommt. Und sich dann aufmacht zu spannenden, zu befreienden Aktionen, zu belebendem öffentlichen Unsinn und königinnenhaft roter Solidarität.

Anspieltipps: Wem gehört die Welt, Scissor*hood, Karpfen aus China, Wir sind drin wir sind dran, Plan B       

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 3.12.2024


Space Schädel, Opus Schädel 1

mono-Ton Records, 2024 - 7 tracks, 30 Min.

Das Opus Schädel Nr. 1 von Space Schädel ist eigentlich kein Erstling. Aus gewissen Gründen musste sich die Band formerly known als Space Shuttle umbenennen und heisst jetzt Space Schädel. Weiter zu hören gibt es Kosmisches und andere Weltraumklänge, jazzy freakouts und ähnliche Schädelerweiterungsmusik.

Am Anfang des Albums steht ein munteres „goodbye“ - wohl vom alten Namen, aber nicht zur befreienden Musik des Leipziger Quartetts aus Maximilian Breu - Drums, Vocals, Olga Reznichenko - Keyboard, David Birschel - Guitar und Stephan Deller - Bass. Das fetzt zwischen schnoddriger Ruppigkeit und zügelloser Schönheit. Und wurde erneut von Greg Saunier gemastert.

Der Weltraum ist schon ein seltsamer Ort. Er beflügelt zu Fantasien und Visionen, zu Trips und Träumen. Doch in der Wirklichkeit benötigt die Reise dorthin einen ziemlich festen, ziemlich massiv ausgestatteten Kokon. Aber es gibt ja eine Alternativroute, die allerlei kosmische Kuriere schon gewählt haben. Auf schlichten Luftschwingungen, solo oder als Kombo, lässt sich das kosmische Erlebnis noch auf der Erde elektrogetrieben nachspinnen, wobei eine sichere Landung auch nicht garantiert ist. Dabei ist allerdings statt mit Sauerstoffmangel eher mit dem an Fantasie zu rechnen. Aber davon sind Space Schädel zum Glück Lichtjahre von entfernt.      

Anspieltipps: Goodbye, Beautiful Riff, Final Stay         

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 3.12.2024


Die Mausis, In einem Blauen Mond

Broken Silence, 2024 - 12 Lieder, 32 Min.

Im Gebüsch sang unlängst Andreas Dorau, in einem blauen Mond singen die Mausis. Bei bepelzten Kleintieren ist der Niedlichkeitsfaktor natürlich höher als bei einem älteren weissen Mann ungeachtet seiner Warmherzigkeit. Denoch wärmt mich der Charme Andreas Doraus mehr als der durchaus vorhandene des bemerkenswerten Duos aus Stella Sommer (Ex-Die Heiterkeit) und Max Gruber (aka Drangsal). Warum? Das werde ich nicht erklären, und es hat auch nichts mit der trotz aller Melancholie recht munteren Art von deren Songs zu tun. Oder doch?

Es hat unzweifelhaft etwas Gewaltsames, die Alben der Mausis und Andreas Doraus zu vergleichen. Aber ich finds als Versuchsanordnung doch ganz interessant. Die Fülle der Texte scheint mir auf etwa gleicher Höhe zu liegen, wobei die Mausis tendenziell etwas Materieller, Bodenständiger vorgehen. Melodiös ist auch alles recht passabel geraten, wobei nicht einmal die Wandergitarre den Mausis Punktabzüge garantiert. Es ist halt nur alles etwas unverschrobener und von geradlinigerer Komik als die subtile Lebensweisheit des reifen Chansonniers Dorau.

Der blaue Mond scheint übers Lagerfeuer und dieses Lagerfeuer ist meines Erachtens ein klein wenig das Problem der Lieder der Mausis. Das ist natürlich ein selbstgemachtes Problem von mir, der vorläufig einfach im Gebüsch sitzen sollte und den Mund halten. Aber da ist halt doch zuviel Kinderlied-Poesie und zuwenig herzwärmende Albernheit, die den Mausis genauso stehen würden wie Plüschohren und goldschimmernde Käseleibe als Korpus klingender Freundschaftsklampfen. Das Thema Acht Eimer Hühnerherzen lass ich an dieser Stelle mal aussen vor...

Anspieltipps: In einem blauen Mond, Ausgerechnet ich, Ich leg mein Geld in Käse an, Der Supergouda, Am Ufer der Zeit

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 3.12.2024


BaBa ZuLa, İstanbul Sokakları

Glitterbeat Rec., 2024 - 8 Songs, 41 Min.

Die Türkei hat, wie ich euch gelegentlich schon gezeigt habe, auch eine reiche Tradition an psychedelischer Musik. Eine der ältesten Gruppen, die noch aktiv ist, heisst Baba ZuLa und hat mit İstanbul Sokakları ihr munteres 10. Album vorgelegt. Oriental Dub lautet übrigens die Selbstbezeichnung der Band für ihre Musik, aber das ist nicht so eng zu sehen.

BaBa ZuLa ist ein Projekt von Murat Ertel, der aus einer Künstlerfamilie kommt und schon als Kind kleine Theaterstücke aufführt. Er wendet sich dann der Musik zu und für ein Filmprojekt entsteht 1996 die Band Baba Zula, die bis heute aktiv ist und deren aktuelles Album sich den Strassen des grossen Schmelztigels Istanbul widmet.

Die Musik von Baba Zula ist einerseits stark vom anatolischen Psychedelic-Rock der 60er und 70er Jahre inspiriert, zum Beispiel von Musikern wie Erkin Koray oder Barış Manço. Türkische Volksmusik ist die andere Säule, auf die sich die Songs stützen. Murat Ertel spürt eine starke Verbindung zu traditionellen Liedern und den alten Meistern seines Instruments – der Saz. Aber das sind nicht die einzigen Komponenten dieser Musik.

Spätestens mit dem Film „Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul“ von Fatih Akin aus dem Jahr 2005 sind Baba Zula auch in Deutschland bekannt geworden. Im Film jammen sie auf einem Segelboot zusammen mit Einstürzende Neubauten-Bassist Alexander Hacke. Aber auch sonst arbeiten Baba Zula mit Musikern aus allen Teilen der Welt zusammen. Regelmäßiger Gast ist zum Beispiel die kanadische Sängerin Brenna Mac Crimmon, außerdem ist die Band unter anderem mit dem einflussreichen Musikproduzenten Mad Professor und dem 2017 verstorbenen Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit aufgetreten.

Baba ZuLa lassen sich also von westlicher Musik inspirieren, spielen sie aber auf traditionellen Instrumenten wie der saz oder der darbouka, was den oft frei improvisierten Songs ihr charakteristisches Gepräge und eine ganz eigene Stimmung gibt. Und auch wenn Baba ZuLa keine politische Band sind, so sind sie mit ihren Songtexten und ihrer musikalischen Freigeisterei in ihrer türkischen Heimat öfters angeeckt. Dabei schützt sie, dass sie doch in ihrer schlecht einordbaren Buntheit ein Geheimtip geblieben sind. Aber bei uns ist letzteres, hoffe ich, nicht nötig. Wir können diese so reichhaltige und farbige Musik in ihrer Fülle einfach geniessen und an die bunte Vielgestalt der Welt denken.

Anspieltipps: İstanbul Express Divan Taksim, Arsız Saksağan, Yok Haddi Yok Hesabı, Pisi Pisi Halayı

Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 3.12.2024

und:

Nilüfer Yanya, My Method Actor - Ninja Tune, 2024

Beim Method Acting wird ja tief in die zu verkörpernde Rolle geschlüpft - und welche Person da gerade auf einer Bühne steht und uns Lieder singt, ist ja auch nicht immer klar. Auf Nilüfer Yanyas 3. Album wird diese Frage aufgeworfen, ohne beantwortet zu werden. Mit Wil/ma Archer an der Seite entfaltet Yanya ein luftiges Panorama, wo Souliges immer mal wieder auf die rüderen Momente von shoegaze trifft, klasse Verwandlungskunst also.

Fontaines D.C., Romance - XL Recordings, 2024

Die irische Band verbindet ja tendenziell melancholischen Postpunk mit so infernalischen Dingen wie Grunge und Hip Hop und hat sich da einen Ruf erarbeitet, den das sehr speziell romantische aktuelle Album locker unterstreicht. Wobei, locker ist das kaum, eher energetisch angespannt und ein im besten Sinn kopfverdrehendes Gefühlskarussel. Romantik halt, wie si´e nicht so oft im Poesiealbum steht, dafür auf dem Rummelplatz, möglicherweise.