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Brüste kriegen

 

Sarah Diehl (Hrsg.): Brüste kriegen 208 S.

Verbrecher Verlag, 2004                            Preis 13,- €

ISBN 3-935843-42-9

 

„Brüste kriegen“. Der Titel springt eineN doch etwas direkt an, unter der filigranen Titelzeichnung von Tatjana Doll. Das Thema ist klar abgesteckt: Wie werden Mädchen erwachsen. Mann, wie der Rezensent, scheint da erst mal ein wenig fein raus. Prima, denkt da einer womöglich, endlich. Oder: Frauenthema, was scherts mich. Und auch Frauen mögen sich fragen, klar, es ist eben so und weiter? Aber dann hakt die Feststellung vielleicht doch ein wenig im Kopf ein. Erinnerungen flackern und Verwirrung rührt sich sachte.

Es war wohl nie und ist heute weniger einfach denn je. Auch unbeschadet aller Konstruiertheiten von Geschlechteridentitäten und aller diesbezüglichen Zuschreibungen.

Die biologisch sekundäre Manifestation ist nun mal bei Frauen eine ziemlich Offensichtliche, auch noch in ihrem Ausbleiben. Und, in einer quasi durchsexualisierten Öffentlichkeit eine, die sich Vergleichsmöglichkeiten aller Art ausgeliefert sieht. Jungs haben es noch etwas einfacher, denn offen zu Tage tretendes wie ein spriessender Bart wird zumeist nicht derart sexuell konnotiert.

Im Verbrecher Verlag hat die Museologin, Gender-Forscherin und Schriftstellerin Sarah Diehl ein Buch zu genau den Ereignissen herausgegeben, die für Frauen an der Schwelle zum Erwachsenwerden stehen. Aber, wie Diehl in ihrem Vorwort schreibt, „wachsen Brüste nicht einfach – man bekommt sie“. Frau bekommt sie und muss damit u.a. gewahr werden, dass die Verantwortung für die gesellschaftliche Reproduktion nun auf einmal in ihrem Schoss liegt,

dass sie zur Verantwortungsträgerin geworden ist , ohne dass man ihren Bedürfnissen allzu viel Freiraum zu gewähren bereit ist, genauso wenig, wie die Gesellschaft überhaupt ihre Schlüsselstellung angemessen zu honorieren bereit wäre. Schon ist mensch sowieso in der Reproduktionsfalle, in der sich biologistische Zuschreibungen mit Nützlichkeitsrechnungen bizarr so lang kreuzen, bis sich andere Formen der Kinderaufzucht besser rechnen...dass eine solcherart apparativ befreite Sexualität sich dann wirklich als eine freie erweisen könnte, halte ich für allenfalls naiv.

„Brüste kriegen“ versammelt Geschichten, oft mit autobiographischem Anstrich, Interviews und Zeichnungen von knapp dreissig Beteiligten – darunter, um den Blickwinkel zu weiten, drei Männer. Die Spannweite reicht von skurril (Francoise Cactus) über sachlich (Käthe Kruse unterhält sich mit den beiden teenagern Camilla und Edda) oder informativ ( Sarah Diehls Gespräch mit Asili Barre-Dirie und Fana Asefaw) bis zu finsteren Reinheitsfantasien (Avi Pitchon). Zeichnungen gibt’s u.a. von Kevin Blechdom, Angie Reed und Stu Mead. Kerstin Grether erzählt ein Märchen, um nur diese BeiträgerInnen zu erwähnen. Andere wären u.a. Tanja Dückers, Sonja Eismann, peggy Parnass oder Peaches.

Es ist durchaus ein coming out, das Mädchen durchleben, zusätzlich geplagt von Fragen des timings („zu früh“/ „zu spät“) und es ist erstaunlich, wie sie diese nicht zuletzt blutigernste Angelegenheit auch mit Humor nehmen können. Brüste kriegen ist kein Kompendium von Betroffenheitsliteratur, sondern schickt überwiegend unverkrampfte Blicke inzwischen erwachsener Menschen zurück in eine Zeit, in der die Kindheit ihr Ende gefunden hat und damit das luxuriöse Recht, „noch nichts mit dem Normalfall zu tun haben zu wollen“ (Sarah Diehl). Die Herausgeberin beschreibt hier übrigens ihren unerschrockenen Versuch , mit 14 in einem Wiesbadener Kino zu Informationszwecken Tura Santanas Brüste anzusehen. Fazit: „Sie waren gross und hingen, wie bei Tante Elisabeth. Es gab da kein Geheimnis.“

Andernorts gibt es da schon welche. Und Fragestellungen zum Tragen eines BHs, zur sog. „Monatshygiene“, Damenbinden überhaupt, Aufklärung via „Bravo“ und den Umgang mit den so läppischen wie abgelenkten Jungs.

Da wünscht sich Alex „vor allem zwei heranwachsende Brüste, die nicht die ihren sind, aber trotzdem zur Familie gehören“ (Annette Lory). Der eigene Körper ist zum Minenfeld geworden und mädchen muss sich selbst peinlich sein, ja sie wird „zur Geisel meines eigenen Körpers“ (Allison Williams). Aber schlussendlich kann Eine auch zum Tragen hoher Absätze verpflichtet werden, bevor sie noch „BH“ sagen kann.. ( Tine Plesch , wegen mangelnder Körpergrösse ).   

Trotzdem kommen die meisten da einigermassen unbeschadet raus und ermöglichen uns halbwegs Unbeteiligten (Alter / Alter und Geschlecht) die Komik in diesen Veränderungen wahrzunehmen, die natürlich nicht in den Vorgängen liegt, sondern in gesellschaftlichen Zwängen und persönlichem Unvermögen von Gleichaltrigen und überhaupt Verwandtschaft und Geschwistern im besonderen. Das ist das gute Ende. Das schlechtere zeitigt Bulimie, Wahn oder Selbstmord, unabhängig vom Geschlecht. Wer überlebt, schreibt oder zeichnet in „Brüste kriegen“, wies war und wie frau durchkam. Also sollte es nicht nostalgisch literarisiert werden – obwohl die meisten Geschichten auch in dieser Hinsicht stimmig sind – sondern als Handreichung gebraucht werden für alle, deren Körper durch diese Veränderungen durch muss. Eine spezielle Zielgruppe wäre gerade die, die sich dafür wahrscheinlich gar nicht prädestiniert hält: Jungen. Denn dass gerade die durchaus ein paar Problemchen mit ihren eigenen Entwicklungen haben („wann endlich“ und ...“zu klein ?!“), manifestiert sich nicht zuletzt in einer derzeit gern offensiv vorgetragenen Schwulenfeindlichkeit. Männern überhaupt, nicht nur transsexuellen, sei der Versuch der Brustsimulation „mittels umgebundener Orangen“ ruhig mal empfohlen. Der Rezensent hat seine diesbezüglichen Erfahrungen allerdings leider verdrängt (Die Party lief nicht so toll.) Aber auch für alle anderen bietet „Brüste kriegen“ hinreichend Information und nicht zuletzt einiges Vergnügen bei der Lektüre.    

 

Zores auf Radio Z, 7.12.2004 - Hans Plesch