Zores: Musik abseits aller Hörgewohnheiten Jeden 1. Dienstag im Monat 21 - 24 Uhr bei Radio Z 95,8 MHz |
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Testcard,
#17 Sex
Ventil
Verlag, 2008 – 288 S., 14,50 Beispiel
Testcard. Verantwortlicher Herausgeber: Ein Mann (Martin Büsser).
Drei weitere HerausgebEr: Roger Behrens, Jonas Engelmann und
Johannes Ullmaier. Nebenbei, das war schon mal anders, aber Tine
Pleschs unerwarteter Tod vor vier Jahren hat auch hier eine Lücke
gerissen. ZORES, nebenbei: zwei Männer. Im Testcard, der
Ausgabe Nr. 17, 38 Beiträge mehr oder weniger dediziert zum
Thema Sex, davon etwas weniger als die Hälfte von Frauen.
Schwule und Lesben sind, auch thematisch beteiligt. Das Folgende
wie die geschlechtlichen Grenzen auch ungenau und willkürlich,
fliessend, kulturell und politisch geprägt, von den
Nickeligkeiten des Alltags ganz zu schweigen. Davon erzählt das
Gespräch mit Lynn Breedlove (Sänger von Tribe8, Autor von
Godspeed). Da sind wir auch schon drin. In den 1980er Jahren und
später war das Thema Sex in der bewussten Linken eine
No-Go-Area, geprägt von Sexismus-Debatten. Es gab Sex natürlich
trotzdem, aber er war vor allem ein Problem, ein Feld, das durch
Machtmechanismen abgesteckt und vermint war unsd ansonsten
verschwiegene Privatangelegenheit. Einvernehmlichkeit stand als
Chimäre am Horizont, aber wie und bei welchen Bedürfnissen
dahin zu gelangen war, stand aussen vor. Die beflügelnde
Euphorie, die das Thema noch in den 60er und 70er Jahren
besessen hatte, wich totaler Ernüchterung, nachdem sich der
entfesselte Kapitalismus auch dieses Bereichs als
Illusionsmaschine verwertend bemächtigt hatte. Nun, nach dem
Ende des staatstragenden Kommunismus oder vielmehr seines
Gespensts ist der Mensch vorerst ohne tragfähige Theorie des
Anderen zurückgeblieben und hat die Chance, ganz pragmatisch
sein Umfeld auf weiter und wieder Verwendbares abzusuchen. So
ist auch Sex als Thema in linke Diskurse zurückgekehrt, mit ihm
das problematische Thema Porno. In einem der Beiträge (For your
pleasure heisst er) widmet sich Martin Büsser der Frage,
wieweit Queerness in diesem Bereich denkbar ist und ob er auf
den Bereich schwuler Pornographie als einer tendenziell
offeneren beschränkt bleiben müsste. Ganz
zu Beginn geht es aber Kimiko Leibnitz um Sexualität, Medien
und die Verschiebung von Tabugrenzen. Ein Rückblick auf Zeiten,
in denen Sexualität in der westlichen Welt generell einer
rigiden gesellschaftlichen Kontrolle unterlag in einer Form, die
sich jüngere Menschen, sofern sie nicht in fundamentalistischen
Familien aufwachsen, kaum mehr vorstellen können. Der Verweis
auf die Art, in der in der Jugendzeitschrift Bravo ratgebend
Bilder von Sexualität vorgezeichnet werden, ist naheliegend und
schliesst sich an. Aber es gibt sie ja auch wieder, die
Bewegungen, die Keuschheit bis zur Ehe propagieren und andere
Unterströmungen in einer noch starken Gegenströmung
tendenziell enttabusisierter Sexualität. Die Widersprüche
einer nicht zuletzt marktförmig befreiten Sexualität behandelt
Georg Seeslen, bekannt als Filmexperte und Konkret-Autor
in seinen 10 Ungeboten für „nackte Wilde des Kapitals“. Klärungen
irgendwelcher Art sucht LeserIn in diesem Testcard freilich
vergeblich. Es kann auch keine geben. Die Herangehensweise ist
undogmatisch geworden, nachdem auch in feministischem Kontext
Sexualität nicht mehr nur als Waffe des Patriarchats gesehen
wird. Das macht die Lage nicht übersichtlicher, eröffnet aber
neue Handlungsfelder, gleichviel ob auf dem Ladyfest oder im
Bondageworkshop. Die Grenze zum gelinde gesagt Skurillen ist
fliessend, soweit die Neugier einEn in Bereiche vordringen lässt,
denen sie/er sich nicht unbedingt zugeneigt fühlt. Aber: Die
Angst vor dem Sex auf Seiten der Linken ist die Angst vor seinem
Missbrauch, sagt Massimo Perinelli im Gespräch. Berliner Rapper
und andere sehen das, da plötzlich Repräsentanten einer am
Patriarchat festhaltenden Gesellschaft, bedenkenlos anders. Und
doch sollte genitalem Geprotze die Erotik der Partialtriebe
entgegengesetzt werden. Als Strategien der Subversion denkbar:
Ficken statt arbeiten... Im
Übrigen schlägt dies Testcard Schneisen straight und vor allem
queer durchs Gestrüpp nicht nur gesetzlicher Regelungen. Für
das deutsche Transsexuellengesetz sind lesbische Männer nicht
vorgesehen und nicht alle Transmenschen wollen sich auch
operativ ihrem erlebten Geschlecht angleichen. Ron Steinke und
Jasper Nicolaisen befassen sich mit diesem Thema und möglichen
Konsequenzen, auch für das eigene Leben. Um Homosexualitäten
geht es in verschienen Artikeln. Inwieweit die Figur des
Homosexuellen heterosexuelle Verhältnisse stabilisiert, kann
jedeR nachvollziehen, spätestens wenn die „richtige“ Ehe
gegen die offenbar virale „Homoehe“ verteidigt werden muss.
Illusionen über die „Einrichtungen der Natur“ müssen eben
gewahrt bleiben. Cordula Thym berichtet von der Sexparty auf dem
Wiener Ladyfest, und sodann gelangt das Testcard in den
angestammten musikalischen Bereich. Hier unter anderem:
Ghettotech wird als pornographische Karikatur vorgestellt. Alltäglicher
bedenkenloser Popsexismus grassiert und als Kehrseite stellt
Chris Wilpert die Abwesehheit fest von Sex im deutschsprachigem
Indie und Verwandtem. Jens Rachut erweist sich, nebenbei, als
Ausnahme. Vergnüglicher
wird’s mit dem Lesbian On Ecstasy-Interview und Kids On TV,
bekannt geworden als Opfer der Löschung ihrer MySpace-Seite.
Die Verwerfungen, die es mit sich bringt, queer in einem
straight-kommerziellen Umfeld zu agieren, lassen sich an dieser
Stelle gut zeigen. Artikel zum Film widmen sich ua. der
Produktion Shortbus, dem feministischen Kino von Cathérine
Breillat und den mönströsen Phantasien Russ Meyers. Schwarzes
schwules Kino wiederum ermöglicht, wie Simon Dickel zeigt,
allgemeinere Einblicke in Kodierungen von Begehren und Sexualität.
Es schliesst sich an der Teil mit gewohnt umfassenden, auch
entlegende Nischen nicht scheuenden Rezensionen: Beiträge über
Tonträger, Gedrucktes und bewegte Bilder. Mein
abschliessender Eindruck: |